Grafik mit vier Säulen, die mit Identifizierung, Prävention, Deradikalisierung und Koordinierung bezeichnet sind. Die Grafik schließt im oberen Bereich mit einem Dreieck ab, das mit NeDiS bezeichnet ist.

Netzwerk zur Deradikalisierung im Strafvollzug

Stand Mai 2025

Justizvollzug in Hessen

Radikale und extremistische Einstellungen sowie Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität sind im Justizvollzug nicht nur bei einschlägig verurteilten Straftätern zu finden, sondern auch bei anderen Gefangenen, die ihre radikalen und kriminellen Ansichten nicht jenseits der Gefängnismauern zurücklassen. Bei der Bekämpfung extremistischer Radikalisierung und der Organisierten Kriminalität stehen die Justizvollzugsanstalten daher im besonderen Fokus.

Eine besondere Gefährdungslage für Radikalisierungen im Justizvollzug ergibt sich daraus, dass Gefangene in einer schwierigen Lebenssituation mit teilweise problematischen Persönlichkeitsstrukturen auf verhältnismäßig engem Raum zusammenleben. Andererseits ermöglichen die Gegebenheiten einer Justizvollzugsanstalt eine Beobachtung, Kontrolle und behandlerische Einflussnahme, die bei einem Leben in Freiheit in dieser Form naturgemäß nicht besteht.

Hierzu wurden seitens des Justizvollzuges in Hessen bereits erhebliche Anstrengungen unternommen und ein umfangreicher Maßnahmenkatalog erarbeitet. Seit 2016 werden diese Maßnahmen und Programme sowie die Einzelfälle der extremistischen Gefangenen durch die im Justizministerium angesiedelte Stabsstelle NeDiS (= Netzwerk zur Deradikalisierung im Strafvollzug) betreut und gesteuert.

Eine erfolgreiche Bekämpfung von extremistischen Bestrebungen im Justizvollzug wird durch ein strukturiertes Vorgehen angestrebt. Dafür wurde ein umfassendes Konzept mit vier zentralen Säulen entwickelt:

  1. Identifizierung
  2. Prävention
  3. Deradikalisierung
  4. Koordinierung

1. Identifizierung

Die Identifizierung von radikalisierungsgefährdeten und extremistischen Gefangenen ist eine tragende Säule des NeDiS-Konzeptes und erfolgt durch:

  • Auswertung der Erkenntnisse aus den Vollstreckungsunterlagen und der Behandlungsuntersuchung,
  • genaue Beobachtung im Vollzug,
  • Erfassen von Tätowierungen,
  • ständigen gegenseitigen Erkenntnisaustausch mit Polizei und Verfassungsschutz,
  • Einsatz von Strukturbeobachtung in den hessischen Justizvollzugsanstalten,
  • Mitarbeiterschulungen zum Erkennen von Radikalisierungstendenzen und Steigerung der interkulturellen Kompetenz auch bereits während der Laufbahnausbildung,
  • Einsatz von Risikobewertungsinstrumenten (bspw. VERA-2R) bei extremistischen Gefangenen.

2. Prävention

  • Sicherheits- und Behandlungsmaßnahmen
    Die systematische Erfassung der Gefangenen und die Risikobewertung bilden die Grundlage für notwendige Sicherheitsmaßnahmen wie Beobachtung, verstärkte Kontrolle der Außenkontakte, Reduzierung der anstaltsinternen Kontakte, Fallkonferenzen etc., aber auch für Behandlungsmaßnahmen. Seit 2022 erstellt die Mobile Diagnoseeinheit in der Einweisungsabteilung der JVA Weiterstadt spezifische Konzepte für Behandlungsuntersuchungen von extremistischen Gefangenen.
    Im Falle eines Extremismusverdachts können Kontakte der Gefangenen unterbunden oder besondere Sicherungsmaßnahmen angeordnet werden. Zudem wurde zur Verhinderung schädlicher Einflüsse eine Zuverlässigkeitsüberprüfung von Dritten und Kontaktsuchenden eingeführt sowie der behördenübergreifende Austausch sicherheitsrelevanter Daten im Rahmen von Fallkonferenzen festgeschrieben.
  • Verhinderung von Gruppenbildungen
    Die Unterbringung extremistischer Gefangener erfolgt grundsätzlich getrennt von vergleichbaren Gefangenen oder radikalisierungsgefährdeten Gefangenen.
  • Islamisch Religiöse Betreuung der muslimischen Gefangenen im hessischen Justizvollzug durch Imaminnen und Imame
    Der Anteil muslimischer Gefangener in hessischen Justizvollzugsanstalten ist in den letzten Jahren stetig gestiegen. Deshalb wurde frühzeitig eine bedarfsgerechte religiöse Betreuung und Seelsorge durch deutschsprachige Imaminnen und Imame in allen hessischen Vollzugsanstalten flächendeckend eingeführt.
    Die über die religiöse Grundversorgung hinausgehende Betreuung durch Imaminnen und Imame dient der Gewährleistung der Religionsfreiheit und trägt zudem zur Extremismusprävention bei. Gefangene mit wachsendem Glaubensinteresse und geringer theologischer Vorbildung könnten durch religiös gefärbte politische Ideologien von Mitgefangenen negativ beeinflusst werden. 
    Die kultursensible Arbeit der Imaminnen und Imame hilft, fehlgeleiteten religiösen Vorstellungen entgegenzutreten und trägt ebenso dazu bei, solche erst gar nicht entstehen zu lassen.

3. Deradikalisierung

Der beste Schutz der Bevölkerung besteht, wenn eine Abkehr der Gefangenen von extremistischen Bestrebungen, der Organisierten Kriminalität sowie Gewaltbereitschaft und ihre Eingliederung in die Gesellschaft erreicht werden kann. In der Zusammenarbeit mit freien Trägern werden zahlreiche Maßnahmen der Radikalisierungsprävention im hessischen Justizvollzug angeboten, in denen Gefangenen u.a. demokratische Werte, gewaltfreie Konfliktlösung, interkulturelle Kompetenz und ein kritischer Umgang mit Medieninhalten vermittelt werden. Ein substanzieller Anteil dieser Maßnahmen wird durch einen Verbund aus drei externen Trägern (Violence Prevention Network gGmbH [VPN], St. Elisabeth-Verein/ Seed und Freie Künste e.V.)  angeboten, der seit Juli 2017 im Projekt KOgEX „Kompetenz gegen Extremismus in Justizvollzug und Bewährungshilfe“ mit Mitteln aus dem Bundesprogramm “Demokratie leben!“ und Kofinanzierung durch das Land Hessen betrieben wird. 

Die einzelnen Träger haben unterschiedliche Schwerpunkte und verfolgen individuelle Ansätze bei der Umsetzung von Präventionsmaßnahmen gegen Extremismus. Die Freie Künste e.V. fördert junge Gefangene durch diverse Projekte der künstlerischen Arbeit. Das Projekt „Seed“vom St. Elisabeth Verein unterstützt mittels sozialpädagogischer Maßnahmen und Angebote die hessische Justiz. VPN deckt mit Deradikalisierungsmaßnahmen derzeit die Phänomenbereiche Islamismus, Rechtsextremismus und Extremismus mit Auslandsbezug (PKK) ab. Für eine gelingende und stabilisierende Resozialisierung ist eine gute Entlassungs- und Übergangsvorbereitung unerlässlich, die bei den freien Trägern etabliert ist.

Für rechtsextreme Gefangene, die eine Bereitschaft zum nachhaltigen Ausstieg aus der rechten Szene aufweisen, wird darüber hinaus das Aussteigerprogramm IKARus des Hessischen Landeskriminalamtes angeboten.

Mit dem „Blickwechsel-Training“ von dem Träger Denkzeit-Gesellschaft e.V. wird ein psychodynamisch fundiertes, pädagogisches Einzeltraining für junge Gefangene aller Radikalisierungsgrade und Phänomenbereiche angeboten.

Schließlich wurde das erfolgreiche Modell der „Rechtsstaatsklassen“ mit der „Schule des Respekts im hessischen Justizvollzug“ auf den Justizvollzug übertragen; seit Mitte 2019 geben Richterinnen, Richter, Staatsanwältinnen, Staatsanwälte, Rechtspflegerinnen und Rechtspfleger in den Justizvollzugsanstalten Unterricht zum deutschen Rechtsstaat.

4. Koordinierung

Zur Umsetzung und Fortentwicklung der Präventions- und Deradikalisierungsmaßnahmen im hessischen Justizvollzug bedarf es einer zentralen Koordination im Sinne eines regionalen und internationalen Netzwerkes und einen zentralen Anlaufpunkt, der Wissen und Kompetenz über die in den Projekten erworbenen Erkenntnisse sammelt und für andere Institutionen abrufbar macht.

Die Stabsstelle NeDiS koordiniert, begleitet und unterstützt den Informationsaustausch:

  • innerhalb und zwischen Anstalten,
  • mit den Sicherheits- und Justizbehörden und dem Hessischen Informations- und Kompetenzzentrum gegen Extremismus (HKE),
  • mit den Ministerien,
  • mit den Ländern,
  • mit dem Bund (z.B. BMJ, BMFSFJ, BKA),
  • und auf internationaler Ebene (UNODC, EuroPris, RAN).

Weitere Aufgaben und Projekte der Stabsstelle NeDiS sind:

  • Ansprechpartner für die Justizvollzugsanstalten im Bereich Extremismus (alle Phänomenbereiche) und der Organisierten Kriminalität,
  • fachspezifische Fort- und Weiterbildungen für die Strukturbeobachtung,
  • regelmäßiger Erfahrungsaustausch mit der Strukturbeobachtung sowie mit den Imaminnen und Imame im Justizvollzug,
  • Gewinnung und berufsbildende Qualifizierung von Imaminnen und Imame,
  • Entwicklung von Standards für die muslimische Seelsorge,
  • Bereitstellung von Fachliteratur für die Strukturbeobachtung sowie Imaminnen und Imame,
  • Zurverfügungstellung von muslimischer Literatur und politisch bildender Literatur in den Gefangenenbüchereien.